Gute zwei Monate hatten wir auf den Ersatz des Code 0 gewartet. In der Marina in Puerto Rico hatten wir den teuersten Liegeplatz ever. Das war nötig, um die Steuern auf das Segel als Yacht in Transit zu umgehen. Nach zwei Wochen war das Carbonsegel bereits wieder kaputt. Wir hatten 180 Quadratmeter Segel komplett im Wasser und unter dem Boot, bei 25 Knoten Wind und guten 2,5 Meter Wellen.
Romantik pur
Wer mit dem Boot unterwegs ist, kennt den Ausspruch der Landratten: „Oh, das ist sicher schön mit dem Boot unterwegs zu sein. Schöne Strände, ein bisschen Fisch fangen und faulenzen – wie romantisch.“
In der Realität sieht es häufig ganz anders aus: Man wartet auf Ersatzteile, um dann bei brütender Hitze in einem viel zu engen Motorraum Reparaturarbeiten an den schönsten Orten der Welt durchzuführen. Ich repariere nicht. Ich bin der “Bring mal”, der verlängerte Arm des Kapitäns zur Werkstatt.
Nur ein kurzer Schlag von 25 Seemeilen
Wir waren unterwegs entlang der Küste Puerto Ricos. Für den Tag waren 25 Seemeilen an der Westküste der Insel vorgesehen, um eine gute Ausgangsposition für den langen Schlag von 140 Seemeilen in die Dominikanische Republik zu haben. Plötzlich frischt der Wind auf und wir sind mit dem Code 0 unterwegs – das ist zu viel Wind für das Carbonsegel. Also: runter damit!
Der Ärger nimmt seinen Lauf
Leider hatten wir das Segel nur auf der Winsch. Der Fallenstopper, welcher die Leine in ihrer Position sichert, war offen. Die Winsch hielt dem Druck von Segel und Wind nicht stand. Das Tuch blies sich auf wie ein Ballon und rutschte langsam am Mast nach unten, Richtung Wasser. Noch bevor wir reagieren konnten, hatte das unter Zug stehende Segel Kontakt mit den Wellen. Wir mussten erst einmal das Seil der Halyard, das sich wild um die Winsch gewickelt hatte, lösen. Volle Konzentration war dabei notwendig. Nur nicht die Finger einklemmen! Da war extrem viel Zug auf dem Seil.
Das Code 0 tauchte indessen immer mehr ins Wasser. Mit Muskelkraft war da nichts mehr auszurichten. Wir haben das Fall gelockert und versucht, das Tuch am oberen Ende zu lösen, um den Druck aus dem Segel rauszubekommen. Doch Segel und Boot tanzten nur so in den Wellen und das Tuch wanderte immer weiter nach hinten. Nicht gut.
Das Fall riss das Code 0 mit sich
Zack, der Rettungsring, der an der Reling hing, war abgerissen. Achtung, die Solarpanel! Machen konnten wir nichts, nur hoffen. Dann war die Halyard am Starlink – nicht abgerissen, Glück gehabt.
Eine der Schoten hatte sich vorne am Anker verheddert. Auf allen Vieren war ich auf dem Boot unterwegs. Nur nicht ausrutschen! Nur nicht ins Wasser fallen! Mit einer Stange bewaffnet lag ich auf dem Netz und versuchte, die Leine vom Anker wegzubekommen. Eine Hand am Boot, eine an der Stange. Nach schier unendlichen Versuchen war das Seil endlich vom Anker. Plötzlich bekam ich nasse Füsse. Wo kam das Wasser her? Egal, weitermachen.
Wir konnten nicht manövrieren
Das Segel war komplett unter dem Boot und um den Propeller auf Steuerbord. Es gelang uns, nach einigen Versuchen, das Code 0 vom Fall zu lösen. Jetzt hatten wir wieder eine Chance, das Segel zu bergen. Glücklicherweise waren wir weit genug vom Ufer entfernt. So konnten wir einfach hoffen und abwarten, dass der Propeller ohne Schaden wieder frei wurde. Heinz sah ziemlich nass aus. Warum, war mir nicht ganz klar. Der Steuerstand der Sunreef ist auf der Flybridge in gut 5 Metern Höhe. Heinz war innert Sekunden komplett mit Salzwasser geduscht. Um so durchnässt zu werden, musste er eine wirklich riesige Welle erwischt haben. Das war also die Welle von hinten, bei der ich vorhin nasse Füsse bekommen hatte.
Das Segel löste sich vom Propeller
Jetzt versuchte Heinz, rückwärts zu fahren, um das Carbonsegel zum Bergen in Position zu bringen. Es klappte! Das Tuch bewegte sich nach vorne. Mit Winsch und Muskelkraft gelang es uns, das Code 0 wieder auf das Boot zu bekommen. Geschafft! Das Segel war nach über einer Stunde endlich aus dem Wasser.
Ich merke erst jetzt, wie erschöpft ich war. Ich lag auf dem nassen Segel, nicht fähig aufzustehen. Doch was war das? Das Tuch fing an, sich langsam wieder aufzurichten. Wir hatten noch nicht gewonnen. Mit einem Seil sicherten wir das Segel an der Reling. Bloss nicht noch einmal so eine Aktion! Ich blieb als Ballast auf dem Segel liegen.
Nach einer guten Stunde lagen wir vor Anker. Nur das Code 0 auf dem Deck und meine schmerzenden Knie erinnerten mich an die Aktion auf See.
Was für eine hübsche kleine Bucht. Wie romantisch. Nur der Fisch, der kam aus dem Tiefkühler und nicht frisch aus dem Meer.
Liebe Grüsse
Sabine
Information
- Bilder: Sabine Löwenthal
- Datum: April 2025
- Ort: Puerto Rico, Karibik









